Zum Tag der psychischen Gesundheit

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit warnt vor zunehmenden Belastungen benachteiligter junger Menschen. Zum Welttag der psychischen Gesundheit am 10. Oktober macht der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit auf die besondere Lage benachteiligter Jugendlicher aufmerksam.

Nicht erst seit der Coronapandemie ist ein Anstieg psychischer Belastungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verzeichnen. Dies betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen – junge Menschen mit schwierigen Startchancen sind jedoch überproportional betroffen. Faktoren wie Armut, Bildungsbenachteiligung, Migrations- und Fluchterfahrungen oder fehlende soziale Unterstützung erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen deutlich. Gleichzeitig ist psychische Gesundheit eine entscheidende Grundlage für Bildungserfolg, berufliche Integration und gesellschaftliche Teilhabe.

Appell an die Bundesregierung: Zusagen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit begrüßt, dass im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD (2025) wichtige Punkte hinsichtlich der mentalen Gesundheit Jugendlicher aufgenommen wurden und appelliert an die Regierung, ihre Vorhaben zügig umzusetzen. Dazu gehört insbesondere:

  • Die Entwicklung einer Strategie „Mentale Gesundheit für junge Menschen“ mit den Schwerpunkten Prävention und Früherkennung, insbesondere durch Aufklärung und niedrigschwellige Beratung von Eltern sowie Fortbildung von Pädagog:innen und Fachkräften (vgl. S.101)
  • Die bessere Verzahnung von Bildung, Jugendhilfe und Gesundheit (vgl. S.101)
  • Die Fortschreibung der Einsamkeitsstrategie und Unterstützung bestehender Netzwerke sowie eine verbesserte Datenerhebung und Forschung, um zielgenaue Maßnahmen zu entwickeln (vgl. S.105)
  • Die Unterstützung Psychosozialer Zentren (vgl. S.105)
  • Das Angebot niedrigschwelliger Online-Beratung in der Psychotherapie und digitaler Gesundheitsanwendungen (vgl. S.111)
  • Die Einführung einer Notversorgung durch Psychotherapeut:innen und die Umsetzung des Suizidpräventionsgesetzes (vgl. S.111)
  • Eine angepasste Bedarfsplanung im Hinblick auf Kinder und Jugendliche und auf die Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum (vgl. S.111f)
  • Die Ergreifung von Präventionsmaßnahmen, um Jugendliche vor Suchtabhängigkeit zu schützen (vgl. S. 112)
  • Die Stärkung des Jugendschutzes in der digitalen Welt durch Einsatz einer Expert:innenkommission zur Erarbeitung einer Schutzstrategie (vgl. S. 100)
  • Die Fortführung des Fonds Sexueller Missbrauch sowie Umsetzung des UBSKM-Gesetzes (Unabhängige Beauftragte für Sexuellen Kindesmissbrauch) in Zusammenarbeit mit Ländern, Trägern und Einrichtungen (vgl. S. 100)
  • Die Etablierung einer Bundesförderung von Childhood-Häusern als Anlaufstellen für Jugendliche, die Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt haben (vgl. S.100)
  • Die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes und die Fortentwicklung der Gewaltschutzstrategie zu einem Nationalen Aktionsplan (vgl. S. 103)

Jugendsozialarbeit als Schlüsselakteur für psychosoziale Unterstützung

Für die Realisierung der im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben bietet sich der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit mit seiner ausgewiesenen Expertise als verlässlicher Partner an und steht der Regierung beratend zur Seite. In der Praxis übernehmen unsere Mitgliedsträger eine unverzichtbare Rolle bei der psychosozialen Unterstützung benachteiligter junger Menschen und setzen entsprechende Programme erfolgreich um.

Jugendsozialarbeit bietet jungen Menschen Begleitung und Halt, ist kontinuierlich ansprechbar und vermittelt gezielt an weiterführende Hilfen. Fachkräfte der Jugendsozialarbeit bauen stabilisierende Vertrauensbeziehungen auf, geben Orientierung und fungieren als Schnittstelle zwischen Schule, psychosozialer Unterstützung und dem Sozialsystem. Angebote wie Jugendwerkstätten ermöglichen jungen Menschen, Struktur zu erleben, Gemeinschaft zu erfahren und nachhaltige Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln.

Damit all dies gelingt, braucht es stabile Rahmenbedingungen:

  • Verlässliche Finanzierung sichern: Trotz gesetzlicher Verankerung (§13 SGB VIII) ist die Jugendsozialarbeit weiterhin finanziell unzureichend ausgestattet. Erforderlich sind mehr präventive, niedrigschwellige und zielgruppenspezifische Angebote und eine flächendeckende, dauerhaft gesicherte Struktur.
  • Zeit für Beziehungsarbeit ermöglichen: Verlässliche Beziehungen sind ein Schlüsselfaktor für psychische Stabilität – sie entstehen jedoch nur, wenn Zeit dafür vorhanden ist. Längere Projektlaufzeiten, Verweildauern der jungen Menschen und kontinuierliche Bezugspersonen fördern Vertrauen und Entwicklung. Die Zergliederung von Hilfesystemen muss gestoppt werden. Eine koordinierte Hilfe, möglichst aus einer Hand, ist deutlich effektiver und effizienter als eine Vielzahl wechselnder und kleinteiliger Zuständigkeiten.
  • Fachpersonal gewinnen und halten: Fachkräfte brauchen faire Bezahlung, unbefristete Verträge und gute Arbeitsbedingungen. Nur so können Träger qualifiziertes Personal halten, langfristig planen und Angebote dauerhaft sichern – gerade angesichts des akuten Fachkräftemangels. Digitale Beratungsangebote stellen eine sinnvolle Ergänzung dar und können als erste Anlaufstelle dienen. Sie ersetzen jedoch nicht den persönlichen Kontakt und sind keine Lösung für den Personalmangel.
  • Kooperation und Vernetzung ausbauen: Die Zusammenarbeit mit Psycholog:innen und Gesundheitseinrichtungen ist essenziell, um psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen, professionell zu diagnostizieren sowie wirksam, bedarfsgerecht und nachhaltig zu behandeln. Ebenso ist die Förderung der Kooperation mit den Rechtskreisen SGB II und SGB III von großer Bedeutung, da sich die Zielgruppen häufig überschneiden, dies gilt insbesondere für §16h SGB II Maßnahmen zur Förderung schwer erreichbarer Jugendlicher. Das Wohlbefinden der Jugendlichen muss dabei stets im Mittelpunkt stehen; sie dürfen nicht zwischen verschiedenen Zuständigkeiten hin- und hergeschoben werden. Jugendberufsagenturen übernehmen in diesem Zusammenhang eine zentrale Lotsenfunktion.
  • Bedarfsorientierung statt Bürokratie: Angebote müssen sich an den Lebensrealitäten junger Menschen orientieren. Träger brauchen mehr Handlungsspielräume – insbesondere bei der Mittelverwendung – um flexibel und passgenau auf individuelle Bedarfe reagieren zu können. Übermäßige bürokratische Hürden und ausufernde Dokumentationsvorgaben stehen dem im Wege.

Nur so können nachhaltige Angebote entstehen, die junge Menschen rechtzeitig erreichen und begleiten.

Als Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit setzen wir uns fachlich für die Weiterentwicklung von Prävention, Resilienz- und Gesundheitsförderung als integrale Bestandteile der Jugendsozialarbeit ein – und politisch für die strukturellen Voraussetzungen, die dafür notwendig sind.

Fachliche Ansprechpartnerin: Felicia Haidl (BAG ÖRT), haidl@bag-oert.de

Stellungnahme als PDF.