Interview – TRIAS „Schulverweigerung – die 2. Chance

Dreizehn: Herzlich willkommen, Anna Hasler und Katrin Dreher vom Projekt Trias.
Können Sie uns als Erstes die Jugendlichen, mit denen Sie im Projekt arbeiten, beschreiben und uns sagen, warum diese Jugendlichen nicht mehr zur Schule gehen?

Anna Hasler: Die Problemlagen der Schüler*innen, die wir betreuen, sind sehr individuell. Sie kommen aus ganz verschiedenen Hintergründen und unterschiedlichen Altersklassen. Zunehmend kommen jüngere Schüler*innen, insgesamt zwischen sechs bis 16, 17 Jahre. Selten ist es eine Überforderung in den einzelnen Schularten. Hauptsächlich das Emotionale, Psychische, was den Schüler*innen Schwierigkeiten verursacht.

Katrin Dreher: Ich kann ergänzen, dass die Schüler*innen die Schule entweder aktiv oder passiv verweigern. Manche sind nur physisch anwesend und schauen aus dem Fenster, weil sie den Kopf nicht frei haben, um am Unterricht teilzunehmen. Wir stellen fest, dass die meisten Belastungen aus dem familiären Bereich oder den Peergroups kommen. Es ist eigentlich immer ein Hilferuf, wenn die Schüler*innen die Schule aktiv oder passiv verweigern. Es ist nicht so, dass sie keine Lust haben, in die Schule zu gehen, sondern dies hat eigentlich immer eine andere Ursache. Die Schüler*innen sind aus allen Schichten und allen Schularten. Vorrangig sind es die Gemeinschaftsschulen oder Werkrealschulen, an denen wir tätig werden.

Dreizehn: Danke. Wie gelingt es Ihnen, mit den jungen Menschen in Kontakt, in Beziehung zu kommen?

Katrin Dreher: Wir gehören weder zur Schule noch zum Jugendamt. Wir haben einen sehr niederschwelligen Zugang. Wir gehen auf die Familien zu. Wir machen viele Hausbesuche, so dass die Teilnehmenden sich in ihrem für sie geschützten Raum einfach weiterbewegen können und nicht eine zusätzliche Hürde haben, irgendwo hinzugehen. Das Hauptaugenmerk liegt immer auf dem*der Schüler*in, um mit ihnen gemeinsam Lösungswege zu erarbeiten, wie sie mit ihren psychischen Problemlagen umgehen können. Seien es Angstattacken, Panikattacken, soziale Phobien oder anderes. Sie können sich Hilfe holen, um dann wieder den Weg zurück in die Schule zu schaffen.
Dabei arbeiten wir individuell, von Einzelfall zu Einzelfall. Wir haben sehr viele Kontakte mit den Schulen und den Klassenlehrer*innen. Das ermöglicht, dass die Schüler*innen zunächst nur stundenweise die Schule besuchen, bevor sie das volle Unterrichtsprogramm mitmachen. Wir arbeiten sehr kleinschrittig und verändern kleine Dinge, sodass wieder Erfolgserlebnisse da sind.

Wir machen auch Elternarbeit. Die ist wichtig, weil die Eltern mit der Situation häufig an ihre Grenzen kommen. Wir gehen den Weg gemeinsam und schauen, was von Elternseite aus verändert werden kann, damit es wieder ein gutes Familienleben gibt, damit das Kind wieder in die Schule gehen kann.

Dreizehn: Wenn ich das richtig verstehe, sind die Jugendlichen nicht fünf Tage die Woche bei ihnen. Können Sie kurz beschreiben wie ihr Angebot „funktioniert“?

Katrin Dreher: Insgesamt haben wir 32 Plätze für den gesamten Landkreis Böblingen, aufgeteilt auf drei Träger. Wir kooperieren eng mit den Schulsozialarbeiter*innen. Einmal wöchentlich treffen wir den*die Schüler*in und schauen, was wir für die nächste Woche planen. Oder es gibt ein Schulgespräch oder wir begleiten zur Schulsozialarbeit, führen Elterngespräche. Unsere Betreuungszeit pro Schüler*in ist im Schnitt zwei Stunden in der Woche. Zu Beginn haben wir weitaus höhere Betreuungszeiten. Im Prinzip ist es ein Coaching und für einige ein Krisenmanagement. Wenn die Jugendlichen mit psychischen Problemlagen zu uns kommen oder wir vermuten, dass Depressionen oder Angststörungen da sind, kooperieren wir sehr eng mit den Institutionen im Landkreis. Zum Beispiel versuchen sie an die (psychotherapeutische) Beratungsstelle anzudocken, sowohl Eltern als auch Schüler*innen. Mit dem*r Schulsozialarbeiter*in schauen wir, wo sie Rückzugsräume in der Schule anbieten können. Wir kooperieren auch mit Vereinen und natürlich auch mit der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Wenn wir merken, unsere Zeit reicht nicht aus, versuchen wir den Zugang zum Jugendamt zu ermöglichen. Da gilt es Hürden abzubauen. Viele Familien scheuen diesen Gang, weil sie von irgendwo etwas Negatives gehört haben. Wir versuchen ihnen die Angst zu nehmen und begleiten den Weg in alle Institutionen persönlich. Dahin, wo es notwendig ist, um an den Ursachen zu arbeiten.

Anna Hasler: Jeder kann sich bei Trias melden, also Klassenlehrer*in, Schulsozialarbeiter*innen, die Eltern, die Schüler*innen selbst. Sie können sich entweder erst mal beraten lassen oder sie werden direkt in das Projekt aufgenommen, sofern wir Platz haben. Dadurch ist die Hürde nicht so groß.
Dann ist dieses authentische Begegnen gegenüber den Schüler*innen wichtig, dass man mit Personen auf Augenhöhe spricht. Sinnvoll ist zunächst auch, ohne das Thema Schule in Kontakt zu kommen, zum Kennenlernen. Und dann so nach und nach alles andere zu besprechen.

Katrin Dreher: Wir sind ein Sprachrohr für die Kinder und Jugendlichen. Das sagen wir auch den Eltern. Wir unterliegen der Schweigepflicht. Die Jugendlichen und Kinder entscheiden, was wir an die Eltern oder an die Schule weitergeben. Die jungen Menschen möchten oft ihre Eltern nicht zusätzlich belasten, wenn sie z. B. krank sind. Oft führt das zum Schulabsentismus, dass sie das Gefühl haben, sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht. Oder die Eltern sind psychisch krank oder es ist eine Sucht- oder Gewaltproblematik in der Familie oder ganz häufig sind es auch Trennungskinder.

Dreizehn: Gehen die Kids, solange sie bei ihnen begleitet werden, weiterhin zur Schule oder weiterhin nicht zur Schule?

Anna Hasler: Wir animieren dazu, den Schulbesuch langsam wieder wahrzunehmen, aber nicht überfordernd. Manchmal gehen sie fünf Tage die Woche nicht zur Schule, andere an ein paar Tagen die Woche. Dann versuchen wir darauf aufzubauen: Was funktioniert an diesen Tagen, wo der Schulbesuch möglich ist, und wie kann man das auf die anderen Tage vielleicht ausweiten?

Dreizehn: Wie gelingt die Abstimmung und Kooperation mit der Schule?

Katrin Dreher: Wir haben immer Kontakt zu den Klassenlehrer*innen, so dass wir immer eine Rückmeldung geben. Wenn wir zum Beispiel einen Wochenplan gemeinsam mit den Jugendlichen erstellen, bekommen diesen auch die Lehrkräfte. In der Einstiegs Phase gibt es oft den Wunsch, nur teilzunehmen und noch nicht aktiv aufgerufen zu werden.
Und wir sind in engem Kontakt mit den Rektor*innen, so dass die Schule weiß, was wir geplant haben. Wenn eine Tagesklinik oder Therapie stattfinden muss, können die Schüler*innen freigestellt werden. In diesen Fällen stellen Lehrkräfte Aufgaben zusammen und die Schüler*innen geben sie wieder ab, sodass sie Rückmeldung bekommen, um in Kontakt mit der Schule und im Lernen zu bleiben.
Ältere Schüler*innen können auch mal einige Wochen aus der Schule rausgenommen werden, um die Drucksituation rauszunehmen, und sie machen so lange ein Praktikum. Oft ist es darüber möglich, dass sie wieder zurück in die Schule gehen.

Dreizehn: Wie gestaltet sich der Kontakt zwischen Ihnen und den Jugendlichen?

Anna Hasler: Die Begleitung durch uns dauert unterschiedlich lange. Wenn die Jugendlichen erst anfangen, einzelne Stunden zu fehlen, dann ist die Chance groß, dass wir das in einer kürzeren Zeit „hinbekommen“, vielleicht in einem halben Jahr. Manchmal begleiten wir bis zu zwei, drei Jahre. Sie sollen so weit gestärkt sein, dass sie es unter den normalen Bedingungen gut schaffen. Und sie sollen dann wissen: Wo kann ich mir Hilfe holen? Sie können sich jederzeit anschließend wieder bei uns melden. Das ist eigentlich ganz schön mitzubekommen, was aus unseren Schüler*innen geworden ist.

Manchmal kommt es auch vor, dass jemand sagt: „Ich habe eine Freundin und die hat tierisch Probleme. Darf die sich bei dir melden?“ Alles, was den Jugendlichen Halt gibt, das nutzen wir und sehen wir als Ressource.

Dreizehn: Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in Ihrer Arbeit?

Anna Hasler: Die Homeschooling-Phasen haben einiges erschwert. Da gab es einige, die sowohl technische Probleme hatten als auch generell überfordert waren mit der Situation, zu Hause zu lernen, alleine zu lernen, wo es keine Möglichkeiten gab, dass Unterstützung gewährleistet werden konnte. Diese waren teilweise ein Jahr oder anderthalb abgehängt. Sie waren, irgendwann frustriert und haben die Rückführung in den Regelunterricht aufgegeben.

Dreizehn: Vielen Dank für das Interview.