Mit der Stellungnahme „Zur Zukunft von Erasmus+ und ESK ab 2028 mit Fokus auf Jugendsozialarbeit“ reagiert der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit auf die Pläne der EU-Kommission, den Mittelfristigen Finanzrahmen (MFR) der EU stark zu verändern. Dies könnte zulasten der Programme Erasmus+ und Europäisches Solidaritätskorps (ESK) gehen.
Die Jugendsozialarbeit spielt eine essenzielle Rolle in der Begleitung und Förderung junger Menschen mit weniger Chancen und Möglichkeiten auf gesellschaftliche Teilhabe. Für die Europäisierung der Jugendsozialarbeit ist das EU-Programm Erasmus+ besonders wirkmächtig. Vor allem für junge Menschen, die wirtschaftlich, sozial oder bildungsbezogen benachteiligt sind – darunter NEETs (Not in Education, Employment or Training) – eröffnet das Programm wertvolle Möglichkeiten, internationale Lernerfahrungen zu sammeln und neue Perspektiven für ihre persönliche und berufliche Entwicklung zu gewinnen.
Die Erasmus+ Programmbereiche Jugend (mit dem Europäischen Solidaritätskorps ESK) sowie der Bereich der beruflichen Bildung sind für die Jugendsozialarbeit von besonderer Bedeutung. Mit Blick auf die Planungen zum zukünftigen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2028-2034 ist sehr darauf zu achten, dass die spezifischen Bedarfe von jungen Menschen mit geringeren Chancen in die Weiterentwicklung der Jugend- und Bildungsprogramme einfließen.
1. Mehr Zugänge für junge Menschen mit geringeren Chancen
Erasmus+ und das ESK haben sich in den vergangenen Jahren inklusiv weiterentwickelt. Dieser Prozess muss fortgesetzt und intensiviert werden, indem noch bessere und deutlich mehr Zugänge für junge Menschen mit geringeren Chancen geschaffen werden.
Die Jugendsozialarbeit ist ein wichtiger Akteur, um diesen Zielgruppen die Teilhabe an internationalen Bildungs- und Begegnungsangeboten zu ermöglichen. Der Zugang zu Erasmus+ und dem ESK muss für Träger der Jugendsozialarbeit durch Beratungsangebote weiter unterstützt und durch eine Verschlankung der Verwaltungsprozesse vereinfacht werden. Zugleich ist auch das Handlungsfeld der Jugendsozialarbeit gefordert, sich für europäische Austauschprogramme zu öffnen. Dazu braucht es entsprechende Anreize und Ressourcen. Programme zur Europabildung für Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit müssen weiter gestärkt werden, um deren interkulturelle Kompetenzen und europäisches Fachwissen zu erweitern.
2. Stärkung der politischen Bildung und Demokratiebildung
Erasmus+ ist ein formales und non-formales Bildungsprogramm, das als wesentliches Instrument zur Förderung der Demokratiebildung und des europäischen Bewusstseins wirkt, ebenso wie das ESK. Es muss sichergestellt werden, dass politische Bildung und der Erwerb europäischer Identität eine tragende Rolle in der Programmausrichtung spielen, die über das bisherige Maß hinausgehen.
3. Keine Doppelkürzungen und nachhaltige Finanzierung
Die finanzielle Absicherung der EU-Programme Erasmus+ und ESK ist die Grundlage, um die sehr positiven Ergebnisse zu sichern und die notwendigen Strukturen und Prozesse zu erhalten. Es darf keine Kürzungen oder gar Doppelkürzungen, beispielsweise durch eine gleichzeitige Reduzierung nationaler und EU-Mittel (z.B. Kinder- und Jugendplan des Bundes und Erasmus+) geben.
4. Ergebnisse der Zwischenevaluation 2024 aufgreifen
Die positiven Auswirkungen von Erasmus+ und ESK auf soziale Kohäsion, Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe müssen gestärkt werden. Insbesondere ist der Bezug zur Säule Sozialer Rechte der EU weiter zu vertiefen.
5. Berücksichtigung des gesellschaftlichen Zusammenhalts als Priorität
In der aktuellen Programmgeneration fehlt die explizite Priorität „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Angesichts krisenhafter Entwicklungen sowie polarisierter und spaltender Narrative in Europa ist es notwendig, diesen Aspekt explizit in die neuen Programme aufzunehmen.
6. Verbesserung des Zugangs für nichtassoziierte Partnerländer
Die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU ermöglicht einen einzigartigen Perspektivwechsel und wertvolle interkulturelle Lernerfahrungen – sowohl für junge Menschen, Fachkräfte und Organisationen als auch für Partner aus Drittstaaten. Daher setzen wir uns nachdrücklich für den Erhalt und Ausbau dieser internationalen Kooperationen mit nicht assoziierten Staaten ein.
7. ESF+ und Erasmus+: Synergien nutzen
Die Möglichkeit, Europabildung über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) in die Ausgestaltung von Erasmus+ zu integrieren, sollte geprüft werden. Hier könnten Synergien geschaffen werden, um nachhaltige Bildungs- und Arbeitsmarktchancen für junge Menschen mit geringeren Chancen zu verbessern.
8. Stärkung non-formaler Bildung und Soft Skills
Erasmus+ ist nicht nur ein Instrument der non-formalen Bildung. In der Entwicklung und Förderung von Soft Skills trägt Erasmus+ auch zur Förderung der Arbeitsmarktintegration bei. Eine einseitige Fokussierung auf arbeitsmarktrelevante Inhalte muss allerdings vermieden werden, um diese Inhalte nicht gegen die non-formale Bildung auszuspielen und diese dadurch noch weiter zu schwächen.
9. Erweiterte Jugendbeteiligung
Die Programme sollten eine verstärkte Beteiligung junger Menschen aus der Jugendsozialarbeit ermöglichen. Zusätzliche Strukturen müssen geschaffen werden, um die spezifischen Bedarfe dieser Zielgruppen in der Programmentwicklung und -umsetzung zu berücksichtigen.
10. Eigenständiges Programm und Formatvielfalt in Leitaktion 2 erhalten
Erasmus+ soll als eigenständiges Programm mit den 5 Bereichen (Jugend, Schule, Bildung, Hochschule und Sport) beibehalten werden. Die Vielfalt an Projektformaten innerhalb der Leitaktion 2 (Kooperationspartnerschaften) muss erhalten bleiben. Besonders wichtig ist die Ergänzung um Mikroprojekte sowie der Erhalt von Small Scale Projekten, um flexiblere und niedrigschwellige Zugänge zu gewährleisten.
Schlussfolgerung
Das EU-Programm Erasmus+ und das ESK sind unverzichtbare Instrumente zur Stärkung von Demokratie, sozialem Zusammenhalt und Chancengerechtigkeit in Europa. Sie müssen gezielt weiterentwickelt werden, um auch in Zukunft ihre volle Wirkung zu entfalten – insbesondere mit Blick auf die Bedarfe von jungen Menschen mit geringeren Chancen. Die Jugendsozialarbeit leistet hierbei einen entscheidenden Beitrag, weil sie als Brücke zu diesen Zielgruppen dient. Es ist daher essenziell, dass die Anliegen der Jugendsozialarbeit in der neuen Programmgeneration umfassend berücksichtigt werden.